Im Bier Vereint
Die Gleichung ist einfach: Wer an Bier denkt, hat in der Regel ein frisches, goldenes Pils mit einer ordentlichen Schaumkrone vor Augen. Da macht es keinen Unterschied, ob man diesseits der bayerisch-tschechischen Grenze steht oder jenseits. Kein anderer Bierstil hat die Vorstellung vom idealen Gerstensaft so sehr geprägt wie die weltbekannte Spezialität aus der Bierstadt Pilsen. Und dort ist man sich seiner Rolle in der Weltgeschichte des Bieres durchaus bewusst – das zeigt schon das imposante Tor der berühmten Pilsner Urquell-Brauerei, Plzeňský Prazdroj.
Das erste goldgelbe Pils glich tatsächlich einer Revolution. Die Pilsner Bürger waren mit ihren bis dato warm vergorenen, dunkleren Bieren so unzufrieden, dass sie die Braustätten der Stadt stürmten, um die Fässer mit dem ungeliebten Inhalt öffentlich auf dem Marktplatz zu zerschlagen. Für die Stadtoberen war das ein Weckruf: Sie investierten in ein Brauhaus, das auf dem neuesten technischen Stand war und engagierten den bayerischen Braumeister Josef Groll, um die Stadtbevölkerung wieder zufriedenzustellen. Am 5. Oktober 1842 setzte der seinen ersten Sud des neuen, hopfig-hellen Pilsner Biers an. Fünf Wochen später, am Martinitag, füllte das neue Bier die ersten Krüge. Und es begeisterte sofort, erst die Böhmen und nach und nach auch ihre deutschen Nachbarn.
Das neue Bier war die Verbindung des Besten, was die bayerische und die böhmische Bierkultur zu bieten hatte. Von zuhause brachte Josef Groll die kalte Gärung mit untergärigen Hefen und die lange Lagerzeit mit, in Pilsen kombinierte er sie mit den böhmischen Malzen und vor allem dem bekannten Saazer Hopfen, der etwa 70 km östlich von Karlsbad wächst. Bis in die ferne Bierstadt Bamberg und noch weiter bevorzugte man dessen blumig-würzige Aromen vor allen anderen Hopfensorten, sodass sich Johann Adalbert Joseph Seifert in seinem 1818 erschienenen Buch vom „Bamberger Bier“ zu der Aussage genötigt sah. „Die Bamberger Bierbrauer haben die Vorliebe zum boehmischen Hopfen noch nicht abgelegt, ob sie gleich im Stillen manches Gebräude sieden, welches vorzueglich gerathen und zu welchem auch nicht eine Dosse boehmischen Hopfen gekommen ist.“
Fährt man von Bamberg 60 Kilometer nach Nordosten bzw. von Pilsen 200 Kilometer nach Nordwesten, trifft man auf Brauer, die nicht minder stolz auf das eigene Bier, besonders das eigene Pils, sind. Wie Pilsen ist Kulmbach eine Bierstadt mit Weltruf – und das verdankt sie vor allem der Kulmbacher Brauerei AG. Die Verbindung von Bier und Stadt ist so eng, dass vor dem Rathaus vier riesige Holzfässer der ehemaligen Brauereien EKU, Mönchshof, Sandlerbräu und Reichelbräu von der reichen Bierkultur künden. Die Marken sind mittlerweile in der 1848 als Reichelbräu gegründeten Kulmbacher Brauerei AG aufgegangen, die ihrerseits selbstbewusst das Stadtwappen als Firmenlogo führt. Flaggschiff der Kulmbacher Brauer ist zweifelsohne das legendäre Pils Edelherb.
Jean Paul und Jaroslav Hašek bevorzugten dunkle Biere
Neben dem Pils, das in Franken viel häufiger als im Rest Bayerns bestellt wird, lassen sich noch viele unterschiedliche Bierstile entdecken: ungespundete, bernsteinfarbene Kellerbiere mit vergleichsweise wenig Kohlensäure, honigfarbene Weizenbiere, Bock- und Spezialbiere in allen Farben und Stärken und natürlich noch die süffigen dunklen Lagerbiere. Letzteren hat der große Romantiker Jean Paul mehr als nur ein poetisches Denkmal gesetzt. Der Sonderling und einfallsreiche Kauz der deutschen Literaturgeschichte liebte das dunkle Bayreuther Bier so sehr, dass er es sich schon morgens in seine abgelegene Rollwenzelei, sein Schreib-Refugium vor den Toren der Stadt, schicken ließ und ihm allerlei Kosenamen wie Herbsttrost, Magen-Balsam, Heilmittel, Gehirnkitzel oder vorletzte Ölung gab. Anderes Bier wollte er dagegen nicht gelten lassen und befürchtete sogar, es könne ihn umbringen. Sein bierliebendes Pendant auf tschechischer Seite ist sicherlich Jaroslav Hašek, der Erfinder des herrlich anarchischen „braven Soldaten Schwejk“. Dessen Lieblingsbier, das dunkle Lagerbier der Brauerei Velké Popovice, das Kozel Černý, will so gar nicht in das Bild böhmischer Pils-Seligkeit passen. Überhaupt kann es einem passieren, dass man als deutscher Bierliebhaber ratlos vor der böhmischen Bierkarte sitzt. Statt Hellem, Dunklem, Pils und Export blickt man auf kryptische Zahlenangaben: 10° oder 12° heißen viele Biere dort noch – ein Relikt aus sozialistischen Zeiten, als die in einem Normenbuch verzeichnete Stammwürze und weniger die Farbe den Biertyp definierte.
Den braven Soldaten Schwejk hätte diese Verwirrung sicher amüsiert und er hätte sich einen Spaß daraus gemacht, sie eher zu vergrößern als zu beheben. Die heutigen Brauer und Gastwirte sind da milder mit ihren Gästen aus Nah und Fern. Sie schreiben immer häufiger auf ihre Bierkarten eine genaue Beschreibung der Biere, ihrer Farbe und Stärke. Dabei steigt die Zahl der gebrauten Sorten langsam an und es wäre ein Fehler, die böhmische Bierwelt nur auf die bekannten hellen Lagerbiere zu reduzieren. Gerade die vielen urigen Dunklen verdienen Beachtung. Außerdem entdecken die böhmischen Brauer ihre Liebe zum Weizenbier, wie zum Beispiel dem Pšeničné 12° der Brauerei – tschechisch „pivovar“ – Karel IV in Karlovy Vary mit seiner feinen Säure und den typischen Bananenaromen. Der Anfang der Karlsbader Braugeschichte reicht bis in das Jahr 1370 zurück, als eben jener Kaiser Karl IV. dem Ort das königliche Stadtrecht und damit verbunden das Privileg zum Bierbrauen verlieh.
Originelle CraftBeer-Szene und wuchtige Originale
Die populäre Craft Beer-Welle geht natürlich auch nicht spurlos am Bierland Böhmen vorbei. Freunde hopfiger Pale Ales und IPAs sollten einmal bei der Pivovar Raven in Pilsen-Bolevec vorbeischauen. Vom sonnigen America Pale Ale bis zum nachtschwarzen Double Black IPA bleibt nahezu kein Wunsch offen. Wer tschechische Hopfen jenseits der bekannten Sorten Saazer, Sladek, Kazbek oder Premiant sucht, wird bei der Brauerei Permon in Sokolov fündig. Traditionelle böhmische Bierstile werden dort mit amerikanischen und englischen – und vor allem mit verschwenderisch viel Hopfen – gemischt. Ein weiterer Trend: Es wird mehr und mehr Rauchbier gebraut, in Böhmen wie in Franken. Das Malz dafür kommt unter anderem aus Oberfranken von der Mälzerei Weyermann aus Bamberg oder von Ireks aus der Bierstadt Kulmbach. Die Biere, die so entstehen, passen hervorragend zur urigen böhmischen und deftigen fränkischen Küche.
Rauchbiere sind wuchtige Originale und haben eine jahrhundertelange Tradition. Dabei gehen einige Betriebe in Sachen Geschmack und Vermarktung auch neue Wege. Beispielsweise die Familienbrauerei Meinel in Hof mit dem „Mephisto“. Gebraut wird es in Erinnerung an den Dichterfürsten Goethe, der während seiner Reisen von Weimar nach Karlsbad auch in Hof Station machte. Dass Goethe ein Freund des Frankenweins war, ist gemeinhin bekannt, aber er war auch einem guten Bier nicht abgeneigt: „Ein starkes Bier, ein beizender Tobak und eine Magd in Putz, das ist mein Geschmack.“ Das zart angerauchte, süffige Rauchbier Mephisto wäre da sicher nach seinem Geschmack gewesen. Zudem verstehen sich die beiden Braumeisterinnen Moni und Gisi Meinel-Hansen auch auf Spezial- und Saisonbiere. Zusammen mit Isabella Mereien von der Brauerei Drei Kronen, Memmelsdorf, kreieren sie unter dem Namen „HolladieBierfee“ ein außergewöhnliches Craft Beer – nicht nur für Frauen.
Zu den Geheimtipps unter den fränkischen Kreativbrauereien gehört das Hopfenhäusla in Münchberg. Der junge Braumeister Janes Reith zaubert fast unbemerkt von der großen Craft Beer-Szene fantastische Biere wie ein trockenes, aber vollmundiges Imperial Stout mit Mocca-, Schokoladen- und Karamelltönen zusammen mit einer dunklen Fruchtnote. Fährt man weiter nach Süden, ist es nicht weit bis zum umtriebigen Brauer Jürgen Hopf. Im Sortiment seiner Lang Bräu in Schönbrunn findet jeder Bierfreund etwas für sich: vom kaltgehopften Super Ale über das klassische Siebensternchenpils bis zum Raubritter Dunkel. Das gemütliche Bräustüberl unweit der Brauerei ist ebenfalls einen Abstecher wert. Noch uriger sind die Kommunbrauhäuser in Kulmbach oder in Rehau, die eine einst sehr verbreitete fränkische Tradition weiterführen. In alter Zeit gab es von der Stadt oder der Gemeinde betriebene Braustätten, in denen brauberechtigte Bürger Bier brauen konnten, das sie dann in den heimischen Kellern vergoren, lagerten und reiften. In der nahen Oberpfalz kennt man diese urtümliche Art der Bierherstellung als Zoigl. Aber auch in Franken gibt es einen Zoigl, wie bei der Brauerei Nothhaft in Marktredwitz, die ihren Namen von der gleichnamigen Adelsfamilie aus dem fränkisch-böhmischen Raum hat.
Andere Länder, andere Bierkulturen?
Wem es bei all der Bier- und Brauereivielfalt auf fränkischer Seite schwer fällt, den Überblick zu behalten, dem bietet der Verein Bierland Oberfranken auf seiner Homepage ein Verzeichnis der ansässigen Brauereien zur Orientierung. Ein ähnliches Verzeichnis sucht man auf tschechischer Seite leider vergeblich, was aber dem Bierdurst der Einheimischen und der Touristen keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Mit 147 Litern Bier pro Kopf und Jahr sind die Böhmen ihren westlichen Nachbarn bei der Liebe zum Gerstensaft um einiges voraus. Das mag einer ungeschrieben Tradition geschuldet sein, nach der in alteingesessenen Brauereien und Wirtshäusern die Bedienung schon mit einem neuen Glas frischem Bier um die Ecke kommt, sobald das Glas auf dem Tisch so langsam zur Neige geht. Findet man, dass es für diesen Abend genug der hopfigen Köstlichkeit ist, muss man selbst aktiv werden und einen formlosen, mündlichen Widerspruch einlegen – „Už nepiju“, „Ich trinke nichts mehr“. Das aber sagt kaum einer vorschnell.
Freilich wird man auch in Tschechien immer häufiger zuerst gefragt, bevor ein neues Glas auf dem Tisch steht. Der Wandel der Zeiten geht auch an der böhmischen Wirtshauskultur nicht vorbei. Aber noch kann man sie finden, die böhmische Gastfreundlichkeit, die keiner (überflüssigen) Worte bedarf.
Ihr Pendant auf fränkischer Seite gibt es überall dort, wo die Steinkrüge dominieren und es der Bedienung sprichwörtlich an der „Einsicht“ fehlt, wann es Zeit für ein neues Bier ist. Will man in Franken signalisieren, dass man auf dem Trockenen sitzt, legt der Franke seinen – wohlgemerkt leeren – Tonkrug einfach auf die Seite. Das nächste frische Bier lässt nicht lange auf sich warten.
Aber egal, ob man dann mit einem herzlichen „Prost“ oder einem „Na zdraví“ die Gläser erhebt, gefüllt mit einem süffigen Kellerbier oder einem eleganten 12°, eines ist hüben wie drüben klar: Bei dem einen Bier wird es nicht bleiben. Dafür gibt es in der deutsch-tschechischen Biergeschichte viel zu viel zu entdecken!
Norbert Krines und Jiří Rataj