Den Fluss entlang
Durch Berge und Täler, vom Fichtelgebirge in den Kaiserwald, bis zum Meer.
Flüsse lassen Verbindendes wie auch Trennendes erleben.
Die Eger durchzieht die Grenzregion.
Wenn das Wasser der Donau sich mit den Wellen des Schwarzen Meeres mischt und Rhein und Elbe sich wogend in der Nordsee verlieren, tragen ihre Fluten immer auch ein Stück von Fichtelgebirge und Kaiserwald mit sich. Denn im Fichtelgebirge scheiden sich die Wasserläufe Europas. Wie an einem gigantischen Zeltdach teilt sich das Regenwasser und zweigt in alle vier Himmelsrichtungen ab. Über zahllose Bäche fließt es aus den bewaldeten Höhen in einen der vier bekannten Quellflüsse, die hier entspringen: Die Naab, deren Hauptquelle am Ochsenkopf entspringt, fließt gemächlich nach Süden, mündet in die Donau und als Teil der Donau schließlich in das Schwarze Meer. Der Main fließt nach Westen dem Rhein zu; die Saale nach Norden, die Eger nach Osten, beide münden in die Elbe.
Seit Urzeiten prägt das Wasser die Landschaften des Fichtelgebirges und des Kaiserwaldes. Bäche und Flüsse haben tiefe Täler eingeschnitten, weite Flussauen geschaffen und wohl auch die Menschen ins Fichtelgebirge gebracht.
Denn Flüsse dienten als Transportwege und Leitlinien, an denen sich die Jäger, Sammler und Siedler orientierten. Gerade in vielen Bach- und Flussnamen scheinen noch die keltischen, germanischen oder slawischen Ursprünge durch, so zum Beispiel der deutsche Flussname Eger und seine tschechische Entsprechung Ohře. Beide stammen vom indogermanischen Wort „Agria“ ab. Das bedeutet so viel wie „wildströmender Fluss“.
Stoff für Ursprungsphantasien
Das Bild der vier Flüsse, die in alle vier Himmelsrichtungen dem Gebirge enteilen, regte in früheren Zeiten die Phantasie der Menschen an. Denn darin gleicht das Fichtelgebirge der biblischen Beschreibung des Garten Edens. Ein Chronist der rauen Gebirgsgegend, Magister Matthias Will aus Kemnath, brachte den Vergleich im 17. Jahrhundert auf den Punkt und gab dem Fichtelgebirge den Namen „das teutsche Paradeiß“. Viele der Autoren machten sich damals gleichwohl nicht die Mühe, das Fichtelgebirge tatsächlich zu erkunden. Das lässt sich leicht daran erkennen, dass die meisten auch verkündeten, Main, Eger, Naab und Saale würden aus einem großen, hoch gelegenen und unzugänglichen See entspringen: dem Fichtelsee. So schön die Vorstellung auch sein mag – sie entspricht nicht der Wahrheit. Der heutige Fichtelsee wurde erst im 16. Jahrhundert künstlich aufgestaut, um auch im Sommer genug Wasser für talabwärts gelegene Mühlen und Hammerwerke zu haben. Viele solcher Stauweiher, die ihre Entstehung dem Bergbau und der Erzverarbeitung verdanken, finden sich noch heute in den Wäldern. Auf tschechischer Seite besonders beeindruckend ist der hochgelegene Stausee auf der Kladská (Glatzen) bei Marienbad (siehe auch Seite 114). Umgeben von einem beeindruckenden Hochmoor wurde das Wasser aus diesem Reservoir über etliche Kilometer mit künstlich angelegten Gräben zu den Hammerwerken geleitet. Ein vergleichbar beeindruckendes Beispiel früher Ingenieurskunst ist der Bocksgraben am Ochsenkopf bei Fichtelberg. Mit ihm gelang es den Erbauern Ende des 18. Jahrhunderts sogar, die Hauptwasserscheide zu überwinden.
Begegnungen an der Eger
Die Eger verbindet die Regionen beiderseits der Grenze. 616 Höhenmeter und 316 Kilometer bringt der Fluss von der Quelle am Abhang des Schneebergs nahe Bischofsgrün bis zur Mündung in die Elbe bei Litoměřice (Leitmeritz) hinter sich. Seinem Lauf können Wanderer und Radfahrer auf bequemen, gut ausgeschilderten Wegen folgen. Ist die Eger am Anfang noch ein kleiner unscheinbarer Bach, prägt sie zum ersten Mal beeindruckend die Landschaft, wenn sie in Weißenstadt den 48 Hektar großen See speist. Vom Seeauslauf bis zur Staatsgrenze beim Schirndinger Ortsteil Fischern, in Sichtweite der alten Grenzfeste Hohenberg an der Eger, nimmt sie viele Seitenbäche auf. Das landschaftlich wohl beeindruckendste Flusstal ist dabei das Wellertal, ein Abschnitt der Eger zwischen Neuhaus und Hohenberg. Hier hat der Fluss im Laufe von Hundertausenden von Jahren an beiden Talseiten steile Granitklippen freigespült, die wie Monumente die Ufer säumen. Ein besonderes Schauspiel bietet das alljährliche „Thusfest“ in Röslau. An diesem Tag wird ein alter Mühlgraben wieder geöffnet und das von der Eger abgezweigte Wasser stürzt aus diesem künstlichen Bett in einem Wasserfall tosend ins Tal zurück.
Die Flüsse hatten entscheidenden Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Region. Die Erze aus den vielen Gruben wären ohne Wasserkraft nicht zu verarbeiten gewesen. Seit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts diente das Wasser der Eger und ihrer Nebenflüsse den vielen Porzellan-, Metall-, Glas- und Textilbetrieben leider allzu oft auch als Abfallgrube und Entsorgungsweg. Ihr ursprünglich wilder Lauf war jedoch der modernen Landwirtschaft, den Äckern und Wiesen im Weg. Die Eger wurde in ein enges, teils befestigtes Bett gezwungen. Fluss und Landschaft wurden an die modernen wirtschaftlichen Anforderungen angepasst. Die Wasserqualität ging im wahrsten Sinne des Wortes den Bach hinunter und mit ihr auch der Lebensraum für die vielen Tiere und Pflanzen, die im Fluss und in den Auen zu Hause waren. Im Mittelalter war die Eger für ihren Lachsreichtum berühmt gewesen! Aber seit einigen Jahren besinnt man sich eines Besseren. Auf weiten Strecken darf der Fluss wieder Fluss sein, mäandern, Schleifen bilden, Land abtragen und aufschütten, Kies und Geröll transportieren und bei Hochwasser auch mal über die Ufer treten. Und auch viele der ehemaligen Bewohner sind zurückgekehrt und an den Ufern zu beobachten, wie Eisvogel und Wasseramsel, Biber und Fischotter.
Auf tschechischer Seite angekommen, heißt es für die Eger allerdings erstmal Stopp: Im Stausee Skalka wird das Wasser aus der Eger bevorratet, um die nach wie vor wichtige Ressource für Industrie und Gewerbe in der Stadt Cheb (Eger) ausreichend zur Verfügung zu haben. Leider bringt der Fluss noch immer zu viele Nährstoffe und Überbleibsel aus vergangenen Zeiten mit, so dass im See im Sommer die Algen erblühen und die Sedimente lieber gestern als heute entsorgt werden sollten. Dennoch ist der Fluss ab der Talsperre ein Eldorado für Wassersportler. Kanu- und Kajakfahrer finden entlang der Eger beste Voraussetzungen zum Flusswandern. Anlegestellen mit Rastplätzen und Versorgung sind alle paar Kilometer zu finden. Durch tiefe Täler schlängelt sie sich durch das Egerer Becken und bildet bei Loket (Elbogen) in einer beeindruckenden Schleife einen natürlichen Burggraben um die malerische mittelalterliche Stadt. Weiter bis Karlsbad hat die Eger im Lauf der Jahrtausende hohe Felswände freigelegt. Der berühmteste davon ist der Hans-Heiling-Felsen (Svatošské skály), der Sage nach ein Hochzeitszug, den eine eifersüchtige Egernixe verflucht und zu Stein verwandelt hat. Die Felsen nebst nahe gelegener Gaststätte sind auch ein beliebtes Ausflugsziel für die Kurgäste aus Karlsbad.
Viele Gelegenheiten für einen guten Fang
Weitreichend sorgt der Wasserreichtum von Fichtelgebirge und Kaiserwald für das Wohl der Menschen. Im weiten Umland versorgt das Gebirge Tausende von Menschen noch heute mit Trinkwasser. Auch die Fischerei hat in der ganzen Gegend eine lange Tradition. In den vielen Teichen, Bächen und Flüssen können Angler noch heute einen guten Fang machen: Bach- und Regenbogenforellen, Hechte, Aale und Aalrutten, Mühlkoppen, Brachsen und Barsche und sogar das seltene Bachneunauge sind in den klaren, kühlen Gewässern zu Hause. Der Äsche mit ihrer schillernd bunten Rückenflosse verdankt die nahe Selb gelegene tschechische Stadt Aš (Asch) wohl ihren Namen. Ein wahrer Schatz sind die Perlmuscheln, die in einigen Flüssen beiderseits der Grenze leben. Bayern und Tschechen bemühen sich seit einigen Jahren gemeinsam darum, diese seltene Tierart zu schützen.
Ronald Ledermüller, mit Unterstützung von Dr. Petr Rojík