Eingang zum Einklang: Saunabereich im Alexbad, Bad Alexandersbad. Foto: Manfred Jahreiß

Eintauchen Ins Bäderland

Bayern und Böhmen trennt ein tiefer Spalt. Gott sei Dank, keiner mehr, der Menschen trennt, sondern nur Kontinente und Erdmassen. Aber was sich da in den Tiefen zwischen Fichtelgebirge und Kaiserwald abspielt,  hat eruptive Kraft. Es macht den kleinen Landstrich in der Mitte Europas zu etwas ganz Besonderem: zu einem Bäderland mit Hunderten von Heilquellen, wobei viele versteckt und kaum beachtet sind, etliche gewinnbringend genutzt werden, andere sogar geadelt wurden und zum Teil weltbekannt sind. 

Als vor Millionen von Jahren der afrikanische Kontinent mit Urgewalt auf die europäische Kontinentalplatte traf, pressten unvorstellbare Kräfte die Erdmassen aufeinander und hoben die Alpen in die Höhe. Das Alpenvorland einschließlich Fichtelgebirge, Erzgebirge und Kaiserwald brachen auseinander. Die Erdschollen bilden heute einzelne Gebirge und Becken. So ein Zusammenstoß hinterlässt tiefe Spuren. Kilometerweit reichen diese heute bis in Zonen des oberen Erdmantels, geben Spalten und Risse frei, aus denen Gase emporsteigen können. Sie vermischen sich in höheren Lagen mit Wasser und drängen blubbernd an die Oberfläche. 

Menschen waren schon immer fasziniert vom Wasser, das aus den Tiefen der Erde aufstieg. Und mit dem Gespür für das Besondere bemerkten die Menschen früherer Zeiten schnell, dass an den Quellen zwischen Erzgebirge und Fichtelgebirge etwas besonders war. Die Blubberbläschen, der Geschmack, der Geruch. Das verhieß Wirkungen, die man von normalen Wässern nicht erwarten konnte. Manchmal war es die tiefe Ergebenheit vor den Wundern der Natur und göttlicher Schaffenskraft, manchmal einfach Hilflosigkeit angesichts eines mit den Mitteln der Medizin nicht zu kurierenden Leidens, die Menschen den Weg zu den Quellen finden ließen. 

Eine besondere Heilwirkung bei Kopf- und Zahnschmerzen sowie bei Augenleiden soll der Konradsbrunnen in der Nähe des Golfhotels Fahrenbach bei Tröstau haben – zumindest glaubten das die Einheimischen früher. Neben der noch heute vorhandenen Quelle stand bis ins 16. Jahrhundert die St. Conrads-Kapelle. Kapelle, Quelle und ein alter Birnbaum daneben sollen Ziel von Wallfahrten gewesen sein. Der Birnbaum wurde mit Wunschzetteln, Pflöcken und Einritzungen versehen. Gut möglich, dass die Verehrung der Quelle und des Baumes schon auf vorchristliche Traditionen zurückging. 

Vor dem Trinken kam einst das Baden

Sagenumwoben sind auch die Entdeckungen anderer Heilquellen in der Region. Wo heute eine aus Bronze gegossene Gemse symbolisch vom Felsen ins Karlsbader Eger- und Tepltal springt, war es der Sage nach einst ein Hirsch, der König Karl IV. und seine Jagdgesellschaft zur Quelle führte. Die Sage markiert den Beginn einer jahrhundertelangen Erfolgsgeschichte für Gesundheit und Wohlergehen. Zu Zeiten Karls IV., Mitte des 14. Jahrhunderts und früher, wurden die warmen Quellen dabei noch ausschließlich für Badekuren genutzt. Die Karlsbader Trinkkur kam erst ab 1522 auf, als der aus Elbogen (Loket) stammende Arzt Václav Payer ein einschlägiges Lehrbuch veröffentlichte. Die Gäste sollten das Heilwasser nicht eilig hinunterschütten, sondern bei einer Art „Verdauungsspaziergang“ gemächlich zu sich nehmen. Zu diesem Zweck entstanden später auch die Kolonnaden. Dass sie zugleich dem Sehen und Gesehenwerden dienten, war ein nicht unerwünschter Nebeneffekt. 

Die heißeste und ergiebigste Quelle der bayerisch-böhmischen Bäderlandschaft tritt in der Karlsbader Sprudelkolonnade aus. Rund 2000 Liter Wasser strömen hier pro Minute an die Oberfläche. Vor den Augen der Besucher schießt es in bis zu 12 Meter hohen Fontänen nach oben. Mit Hilfe von fünf Quellvasen wird das 73 Grad heiße Wasser auf 50 und 30 Grad abgekühlt, damit es Trinktemperatur hat.

Höhenluft und Sonnengelb

Wohl noch weiter zurück reicht die Geschichte der Heilquellen in Bad Steben. Schon vor weit über tausend Jahren war die Gegend im Frankenwald als Bergbauregion besiedelt und vermutlich waren auch die heilenden Quellen schon lange bekannt, bevor sie 1444 erstmals schriftlich Erwähnung fanden. Nachdem durch die Jahrhunderte viele Fürsten und Landesherren die Quellen ihr Eigen genannt hatten, verkaufte die Gemeinde sie 1832 für 600 Gulden an das Königreich Bayern. König Ludwig I. selbst überwachte den Ausbau des Bades, das sich ab diesem Zeitpunkt mit dem Titel „Königliches Staatsbad“ schmücken durfte und heute das höchstgelegene bayerische Staatsbad ist (600 Meter über dem Meeresspiegel).

Man könnte seitenlang alleine die Gäste aufzählen, die aus welt- und kulturgeschichtlicher Sicht bedeutend waren und in Karlsbad, Marienbad und Franzensbad Heilung suchten. Und wohl auch ihr Vergnügen. Kaum anders ist es zu erklären, dass man „zur Nachkur“ gern mehrwöchig ins weitaus kleinere, ruhigere Alexandersbad im Fichtelgebirge reiste, um sich von den Strapazen der mondänen Kurwochen zu erholen. Bis heute ist der Größenabstand geblieben: Auf der einen Seite – der böhmischen – die weltbekannten Kurbäder. Auf der anderen Seite des brodelnden Grabens das kleinste Heilbad Bayerns. Könige, Kaiser, Zaren, Fürsten nebst niederadeligem Anhang, Bildungsbürger, Dichter, Denker und aufstrebender Industrie­adel ließen es sich hier wie dort gut gehen. Und manchen Brauch brachten die Kurgäste gleich mit: Billardspielen war ein beliebter Zeitvertreib, Picknick auf der nahen Luisenburg, das Fahren mit den Eselskutschen und natürlich das Flanieren durch weitläufige Landschaftsgärten, die im Zeitgeist der Aufklärung in Mode gekommen waren. 

Sonnengelb leuchten noch heute die Fassaden. Kaisergelb wurde der Farbton genannt. Als Vorbild diente das Gelb des Schlosses Schönbrunn in Wien, Sitz des Hofstaates während der Habsburgermonarchie. Es handelt sich um ein Markenzeichen der bayerisch-böhmischen Kurorte. Die freundlich helle Farbe sollte die Sehnsucht nach Sonne im mittelgebirgischen Sommer stillen. Nachschub an Erholungssüchtigen für die bayerischen Bäderorte gab es im Windschatten der böhmischen gerade genug. Neben Karlsbad lagen ja in allernächster Nähe noch weitere Heilquellen-Magnete: das edle, in der Hochblüte der habsburgischen Kaiserzeit ausgebaute Marienbad und das erst ab 1793 entstandene Franzensbad nördlich der ehemals freien Reichsstadt Eger. Wer was auf sich hielt in Europa, für den war ein Besuch oder gar ein eigenes Feriendomizil in diesen Orten standesgemäße Pflicht. Nizza, St. Moritz und Monaco waren da noch verschlafene Berg- und Fischerdörfer. Insgesamt weist die Region zwischen dem Südrand des Erzgebirges und vom Frankenwald übers Fichtelgebirge bis in den nördlichen Oberpfälzer Wald die höchste Heilquellendichte des gesamten Kontinents auf. Der inoffizielle Titel „Kurherz Europas“ ist daher durchaus zutreffend. 

Entdeckungen bis in die jüngste Zeit

Viele Heilquellen sind weniger bekannt, zum Teil tief in den Wäldern versteckt. Allein im Wald um das altehrwürdige Kloster Tepl zählte ein Mönch im 17. Jahrhundert an die hundert von ihnen. Zusätzlich zu den vielen Mineralquellen sind Radonquellen eine Besonderheit der Region. Radon ist ein radioaktives Edelgas, das beim Zerfall des von Natur aus im Gestein in geringen Mengen vorhandenen Urans entsteht. Das erste Radonheilbad der Welt entstand 1906 in Jáchymov, damals Sankt Joachimsthal, wenige Kilometer nördlich von Karlsbad. Die radioaktiven Wässer aus jenem Bergwerk begründeten schließlich den Ausbau zum Heilbad. Neben zwei Calcium-Magnesium-Carbonat-Quellen entspringt in Bad Steben ebenfalls eine Radonquelle. Im Fichtelgebirge sind die Ahornquelle am Ochsenkopf in der Nähe von Fichtelberg-Neubau, das „böse Wasser“ am nördlichen Stadtrand von Wunsiedel und schließlich die Radonquelle in Weißenstadt bekannt. Letztere gab den Ausschlag für die Eröffnung eines modernen Kurzentrums im Jahr 2007. Damit begann der Aufschwung der ehemaligen Bergbaustadt zum modernen Kur- und Gesundheitsort. In Zukunft wird sich wohl auch Weißenstadt mit dem Titel „Bad“ adeln dürfen. Eine weitere Weißenstädter Quelle wurde erst 2013 erschlossen, was selbst für viele Geologen unerwartet war. Bei einer gezielten Bohrung am Südufer des Weißenstädter Sees stieß man in 1835 Metern Tiefe auf eine stark fluoridhaltige Schwefel-Thermalquelle, die mit über 32 Grad Celsius artesisch nach oben sprudelt. 

Aus den gesammelten Kräften der Fichtelgebirgsnatur speisen sich die wohltuenden Wirkungen, die der Kurort Bad Berneck bietet: heilsame Stille in reiner, würziger Waldluft, klares Gebirgswasser in Fluss-, Wannen-, Loh-, Salz-, Stahl- und Fichtennadelbädern. Aus heimischen Heilkräutern wurde ein eigener Heiltrank, die so genannte Molke, hergestellt und den Gästen angeboten. Als anerkannter Kneipp-Kurort vervollständigt Bad Berneck das Gesundheitsangebot der Region. 

Kultur rund um die Quellen

Viele der Heilwässer sind wegen ihres hohen Mineral- und vor allem Eisengehaltes nur vor Ort, frisch der Quelle entsprungen, ein Genuss. Nach kaum einem Tag machen sie Licht und Luft zu einer rostigen Brühe, die sich nicht für längere Transporte oder die Abfüllung in Flaschen eignet. Einige aber sind als schmackhaftes Mineralwasser bekannt und finden auf vielen Tischen ihren Platz: Höllensprudel aus dem Frankenwald, Kondrauer und König-Otto-Sprudel aus der nördlichen Oberpfalz etwa. Der aus Karlsbad stammende Heinrich Mattoni kaufte im Jahr 1873 den östlich von Karlsbad gelegenen kleinen Kurort Gießhübel (Kyselka) samt Heilquellen und machte den „Gießhübler Sauerbrunnen“ berühmt. Diese und weitere Quellen, die dem Duppauer Gebirge östlich von Karlsbad entspringen, waren der Grundstein für die Marke „Mattoni“, eine der bekanntesten Mineralwassermarken Tschechiens und heute Teil der Karlovarské Minerální Vody a.s. (Carlsbad Mineral Water). In Kyselka dokumentiert ein Mattoni-Museum die Erfolgsgeschichte mit vielen authentischen Exponaten.

Auch heute noch ist das Wasser für die Menschen, die an der bayerisch-böhmischen Grenze leben oder sich hier erholen und gesund werden wollen, von großer Bedeutung. Die Achtung und den Wert des Wassers für die Menschen hat das Wunsiedler Brunnenfest eindrucksvoll bewahrt. Mittlerweile ist das Fest als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt. Bald könnten die böhmischen Bäder gemeinsam mit einigen anderen europäischen Badeorten ihren Weltrang untermauern und als Weltkulturerbe anerkannt werden. Es würde einmal mehr unterstreichen, welche Bedeutung das Wasser für die Region beiderseits der Grenze in Bayern und Böhmen hat. Egal, wie es aus den Bergen von Fichtelgebirge, Steinwald, Frankenwald, Kaiserwald, Böhmischem Wald und Oberpfälzer Wald quillt oder von unterirdischem Vulkanismus blubbernd und sprudelnd an die Oberfläche gedrückt wird.

Ronald Ledermüller, mit Unterstützung von Dr. Petr Rojík