"Ich bin niemals zerstreuter als wenn ich mit eigner Hand schreibe: denn weil die Feder nicht so geschwind läuft als ich denke, so schreibe ich oft den Schlußbuchstaben des folgenden Worts ehe das erste noch zu Ende ist …“. Foto: Florian Miedl

„In einem friedlichen Lande, unter guten Menschen …“

Ein Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) über seine Reisen nach Böhmen

In den Jahren zwischen 1785 und 1823 unternahm der deutsche „Dichterfürst“ Johann Wolfgang von Goethe 17 mehrwöchige Reisen nach Böhmen. Zusammengerechnet verbrachte er 1114 Tage in Böhmen – in Italien dagegen blieb Goethe nur 683 Tage. Zunächst führte ihn sein Weg nach Karlsbad und in dessen nähere Umgebung, später nach Teplitz, Franzensbad, Eger und Marienbad. Hätte Goethe seine Aufenthalte in Böhmen an einem Stück verbracht, so hätte er insgesamt drei Jahre seines Lebens Zeit gehabt, um sich hier zu erholen, zu kurieren, zu dichten, zu forschen, zu flirten – oder wie Goethe es genannt hätte: Äugelchen zu machen. Was zog ihn immer wieder hierher, was würde er uns darüber erzählen, wenn wir ihn heute träfen? Würde, hätte, könnte ... Fragen wir ihn doch einfach selbst! Denn:  Dichter lieben nicht zu schweigen, wollen sich der Menge zeigen … Ein Interview mit Johann Wolfgang von Goethe … das klingt Ihnen jetzt zu sehr nach Dichtung, weniger nach Wahrheit? Aber Goethe war Poet, also was, wenn nicht die Poesie, sollte uns hier leiten? So sagte Goethe selbst: Ohne Poesie lässt sich nichts in der Welt wirken; Poesie aber ist Märchen … . 

Herr von Goethe, ich freue mich sehr, Sie zu treffen. Sie waren gerne und oft hier in der Region. Was zog Sie immer wieder hierher?

Goethe: Was mich anzog? Sicher war es etwas von dem, das ich in einem Gedicht zum Ausdruck gebracht. Zwar bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es in Böhmen oder in meinem Thüringen schrieb – gleichwohl trifft es meine Sehnsucht doch ganz gut:

Was zieht mir das Herz so?
Was zieht mich hinaus?
Und windet und schraubt mich 
Aus Zimmer und Haus?
Wie dort sich die Wolken
Um Felsen verziehn!
Da möcht ich hinüber, 
da möchte ich wohl hin!

Aber was war das Besondere an Karlsbad und seiner Umgebung?

Goethe: Die Blüten, das junge Grün der Bäume, die Bergmatten, zwischen finstern Felsen, dunklen Fichtenwäldern um graue Holzgebäude, scheinen noch einmal so schön. Meiner Gattin Christiane berichtete ich, ich fühle mich wohl in einem friedlichen Lande unter guten Menschen.

Hätte man dies Wohlgefühl nicht auch anderswo finden können? 

Goethe:  Ich möchte nur in drei Städten leben: in Weimar, Karlsbad und Rom. Dies schrieb ich bereits 1812 an Wilhelm von Humboldt. Dreizehn Besuche stattete ich summa summarum meinem Karlsbad ab. Ich wohnte im „Weißen Hasen“ und in den „Drei roten Rosen“ – das Hotel wird heute „Mozart“ genannt. Das Haus „Drei Mohren“ beherbergte mich neun Mal und wurde mir gar zweites Zuhause. 

Karlsbad war mir stets ein Quell der Inspiration: Hier arbeitete ich an „Wilhelm Meisters Lehrjahren“, an „Pandora“ und „Wilhelm Meisters Wanderjahren“, an den „Wahlverwandtschaften“, „Dichtung und Wahrheit“ und am „Westöstlichen Divan“.

Was ich dort gelebt, genossen,
Was mir dorther entsprossen, 
Welche Freude, welche Kenntnis, 
wär ein allzu lang Geständnis!

Aber Sie waren in Karlsbad ja nicht nur als Dichter schöpferisch. Sie gingen hier auch Ihren naturwissenschaftlichen Forschungen nach.

Goethe: Die Natur ist selbst der größte Schöpfer. Daher dienten die heißen Quellen von Karlsbad nicht nur meiner Genesung. Sie inspirierten mich zudem, mich wieder mehr mit der Geologie zu beschäftigen. Ich wanderte durch die hügelige Gegend auf der Suche nach Gesteinsproben. Die Ergebnisse meiner Streifzüge können Sie heute noch in einer umfangreichen Mineraliensammlung im Goethehaus in Weimar bestaunen.

Es haben Sie die Quellen und Wasser des Kurbades Karlsbad schon öfter von Beschwerden geheilt. Sie nannten Karlsbad im Jahr 1806 gar einen Wunderort

Goethe: Oh ja, die Quellen, wie habe ich sie geliebt!

Wie es dampft und braust und sprühet
Aus der unbekannten Gruft!
Von geheimem Feuer glühet
Heilsam Wasser, Erde, Luft.
Hilfsbedürft’ge Schar vermehrt sich
Täglich an dem Wunderort,
und im Stillen heilt und nährt sich
Unser Herz an Freundes Wort.

Karlsbad – Karlovy Vary, Marienbad – Mariánské Lázně, Elbogen – Loket, dies alles waren zu Ihrer Zeit deutsche Städte. Hatten Sie eigentlich Kontakt zur tschechischen Kultur, haben Sie auch dort ein Freundes Wort erfahren?

Goethe: Ich habe mich immer nur in den hauptsächlich deutschsprachigen Grenzgebieten aufgehalten und zum Beispiel niemals Prag besucht. Aber mit der böhmischen Sprache habe ich mich durchaus ein wenig beschäftigt. 1823 lernte ich Josef Dobrovský kennen, den Begründer der Slavischen Philologie und der böhmischen Schriftsprache. Doch nicht erst diese Begegnung weckte mein Interesse. Schon 1818 hatte mich der Dichter und Wissenschaftler Pavel Josef Šafařík, damals Student in Jena, ­
in einem Brief auf die Königinhofer Handschrift aufmerksam gemacht, die 14 altböhmisch anmutende Gedichte umfasste. Dass es sich dabei um Fälschungen handelt, sollte sich erst viel später herausstellen. Ich selbst versuchte mich ein paar Jahre nach der ersten Lektüre an einer Umdichtung des Gedichtes „Kytice“ aus der erwähnten Handschrift:

Das Sträußchen
Wehet ein Lüftchen 
aus fürstlichen Wäldern;
Da läufet das Mädchen,
Da läuft es zum Bach …

Herr von Goethe, mehrmals feierten Sie Ihren Geburtstag in Böhmen, der Ihnen stets sehr wichtig war. 

Goethe: Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig …, alles in allem ein aussichtsreicher Start, würde ich meinen. Einen solchen Tag gilt es stets gebührend zu begehen. Auch meinen „Werther“ ließ ich am 28. August Geburtstag haben.

Insbesondere zwei Geburtstage in Karlsbad sind der Nachwelt in Erinnerung geblieben, der 28. August der Jahre 1786 und 1823.

Goethe: Meinen 37. Geburtstag feierte ich im „Elefanten“. Kurz zuvor hatte ich mich von Charlotte von Stein verabschiedet – ein Wiedersehen sollte es nicht mehr geben. Und ein paar Tage danach, am 3. September 1786 brach ich nach Italien auf. Immer wieder wurde diese Reise auch „Flucht nach Italien“ genannt. Ja, mein Geburtstag war mir stets Freudenereignis und Abschiedsschmerz zugleich. Als ich doppelt so alt war wie bei dem erwähnten 37. Geburtstag im „Elefanten“, feierte ich mein Wiegenfest ein letztes Mal in Böhmen. Mit Amalie von Levetzow und ihren drei Töchtern machte ich einen Ausflug nach Elbogen (Loket, siehe auch Seite 110). 

Die neunzehnjährige Ulrike von Levetzow gilt, wie Sie wissen, als meine letzte große Liebe – so wie Böhmen eine große Liebe von mir war.  Von beiden nahm ich in meiner berühmten „Marienbader Elegie“ Abschied:

Verlaßt mich hier, getreue Weggenossen! 
Laßt mich allein am Fels, in Moor und Moos …
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, 
Der ich noch erst den Göttern Liebling war; 
Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren, 
So reich an Gütern, reicher an Gefahr; 
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, 
Sie trennen mich und richten mich zu Grunde.

Ich danke Ihnen, Herr von Goethe, für diese Begegnung und das Gespräch. Auch wenn dies – selbst mir – zur Verwunderung Anlass gibt. Wie sagten Sie doch: Und, halb erwacht, halb im schweren Traum, mich kaum des schweren Traums erwehre. – Verschwinde Traum!

Goethe: Manches können wir nicht verstehn. Lebt nur fort, es wird schon gehn.

Das fiktive Gespräch führte Ellen Steffi Widera

Quellen und Inspiration:
J.W. Goethe: Dichtung und Wahrheit. Tübingen 1811-1814. J.W. Goethe: Gedichte. Stuttgart 1967. Miloslav Wajs: Westböhmen in Goethes Leben, Werk und Wirken. Karlovarské Muzeum / Museum Karlsbad 1992. Johannes Urzidil: Goethe in Böhmen. Darmstadt 1965. Gudrun Schury: Goethe ABC. Leipzig 1997.

 

Goethe und das Fichtelgebirge

Goethe (1749-1832) unternahm drei Reisen in das Fichtelgebirge, bei denen er sich mit naturwissenschaftlichen Phänomenen auseinandersetzte. Gleich seine erste Reise von 1785 führte ihn nach Wunsiedel in das Felsenlabyrinth und auf den Ochsenkopf. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich mit Freifrau Charlotte von Stein und seinem Freund, dem Großherzoglichen Kammerherrn Karl Ludwig von Knebel, mit botanischen Studien. An den Besuch erinnert der Goetheweg. Dieser wurde 1923 angelegt. Er beginnt in Karches und führt zum Ochsenkopf. Nach seinem Besuch schrieb er an Charlotte von Stein den vielzitierten Satz: „Der Granit lässt mich nicht los.“

Die zweite Reise führte Goethe 1820 als 71-Jährigen nach (Bad) Alexandersbad, wo er im „Alten Schloß“ logierte. Von dort aus besuchte er die Luisenburg. 1822 kam Goethe über Eger, Waldsassen und Mitterteich nach Marktredwitz, um die berühmte Chemische Fabrik von Wolfgang Kaspar Fikentscher zu besichtigen; es folgten chemische und pyrotechnische Versuche. Im Fichtelgebirge finden sich keine Denkmäler im engeren Sinne, aber ein Goethefelsen im Felsenlabyrinth auf der Luisenburg (im Bild), der oben erwähnte Goetheweg und ein Gedenkstein in Rehau.

Goethe-Denkmäler in Böhmen 

Der Marktbrunnen in Aš (Asch) wurde als Goethedenkmal umgestaltet und bei einer Goethe-Jubiläums-Feier am 28. August 1932 enthüllt. Es zeigt Goethe als Geologen mit einem Bergkristall. Entwürfe und Skizzen sind im  Stadtmuseum ausgestellt. 50 Jahre nach Goethes Tod wurde ein Denkmal für den Dichter in Karlovy Vary (Karlsbad) vor dem Grandhotel Pupp feierlich eingeweiht. 1946 wurde es zunächst im Zug der „nationalen Säuberung“ ins Museum verbannt, 1952 an der Puschkin-Promenade, die heute Goethova stezka (Goethe-Weg) heißt, wieder aufgestellt. 

Auch in Mariánzké Lázně (Marienbad), Loket (Elbogen), Františkovy Lázně (Franzensbad), Výskovice (Wischkowitz), Komorní hůrka (Kammerbühl), Cheb (Eger), Hřebený (Schloss Hartenberg), Hasištejn (Ruine Hassenstein) bei Chomutov (Komotau) und Házlov (Haslau) begegnet man Goethe-Denkmälern oder Gedenktafeln.