Wanderungen durch das Fichtelgebirge und das Karlsbader Land eröffnen immer wieder spektakuläre Blicke. Oben: Blick vom Waldstein aus in Richtung Schneeberg und Ochsenkopf. Unten: das Ausflugsziel Tři kříže (Drei Kreuze) im Herzen des Kaiserwaldes. Foto: Manfred Jahreiß

Naturschätze für Mensch und Tier

Will ein Künstler sein Werk be­trach­ten, tritt er zurück. Aus einiger Entfernung lassen sich Konturen besser erkennen. Um das Schaffen der Natur in ihrer ganzen Dimension zu erfassen, ist etwas Abstand hilfreich. Es lohnt der Blick auf das große Ganze, aus himmlischer Höhe. So betrachtet liegt das Fichtelgebirge wie ein riesiges, aus Bergen geformtes Hufeisen mitten in der Landmasse Europas. Wegen seiner landschaftlichen Eigenart und Schönheit, wegen der enormen Vielfalt an Pflanzen und Tieren wurde es 1971 als Naturpark ausgewiesen. Über 400 Tier- und Pflanzenarten leben hier, die zum Teil in ganz Europa selten geworden und deshalb besonders geschützt sind. Aufgabe eines Naturparks ist es, diese landschaftliche Schönheit zu erhalten. Nicht aber alleine das, was die Natur von sich hervorgebracht hat, sondern insbesondere das, was der Mensch mit seinem Jahrtausende langen Wirken geschaffen hat. 

Blickt man über die heutige Grenze nach Osten, findet man sich in einer ebenso reizvollen wie reichen Natur- und Kulturlandschaft wieder. Einen Naturpark nach deutscher Prägung gibt es hier zwar nicht. Doch auch in Tschechien widmet man sich in einem Landschaftsschutzgebiet dem Erhalt der Kulturlandschaft und ihrer besonderen Naturschätze. Zentrum dieses Gebietes und daher namensgebend ist das Schutzgebiet Kaiserwald, tschechisch Slavkovský les, eine bis über 983 Meter hinausragende Erhebung nordöstlich von Marienbad (Mariánské Lázně) im Bezirk Karlsbad (okres Karlovy Vary). Rundherum gehören eine ganze Reihe besonders wertvoller Landschaften zu diesem Raum, der bis an die Grenzen des Fichtelgebirges reicht. Von Asch (Aš) bis Eger (Cheb) heißt das Gebiet sogar Smrčiny – Fichtelgebirge. 

Eiszeit auf dem Schneeberg und dem Ochsenkopf

Arbeitet man sich nun von Gipfel zu Gipfel von West nach Ost durch das Gebiet, so findet man erstaunliche Plätze und Lebewesen. Der höchste Berg der Region ist der Schneeberg: 1051 Meter, eher unspektakulär in seiner Erscheinung, aber doch eine weithin sichtbare Landmarke – dank eines dicken Turmes, der seinen Gipfel krönt. Am Nachbarberg, dem nur 28 Höhenmeter niedrigeren Ochsenkopf, ragt ein Sendeturm weitaus höher und sportlich schlanker gen Himmel. Der kleine Dicke der beiden Türme empfing und überwachte Funksprüche aus dem Gebiet hinter dem Eisernen Vorhang, der lange Dünne schickte Bilder aus dem Westfernsehen hinüber, um die Menschen dort von westlichem Wohlstand und hier gelebter Freiheit zu begeistern. Drumherum findet sich ein faszinierender Lebensraum. 

Aufgrund der besonderen Lage zwischen atlantischen und kontinentalen Luftmassen, der ungeschützten Lage gegen die aus Westen heranwehenden Winde, herrscht auf dem Schneeberg und dem Ochsenkopf stets ein raues Klima. Eine Pflanzen- und Tiergemeinschaft fühlt sich hier wohl, die es sonst nur in Skandinavien oder in den Hochlagen der Alpen noch gibt. Es ist ein lebendiges Fenster in die Zeit vor rund 12.000 Jahren, als die letzte Eiszeit zu Ende ging und diese Lebewesen die ganze Landschaft ihre Heimat nennen durften. Nicht viel ist ihnen von ihrem einstigen Reich in unserer heutigen Warmzeit geblieben. Das Auerhuhn ist dabei sicher die schillerndste und attraktivste, wenn auch so gut wie nie sichtbare Tierart dieser Regionen. Ringdrossel und Dreizehenspecht, Alpensmaragdlibelle, Blockhaldenspinne und flügellose Schneemücke sind weitere tierische Eiszeitrelikte. Auf den Felsen und an den Bäumen wachsen unscheinbare, aber nichtsdestoweniger faszinierende Lebewesen. Flechten, eine Lebensgemeinschaft aus je einem Pilz und einer Alge, bedecken die Felsen und Baumstämme. Sie sind ein lebendiger Anzeiger für die hervorragend reine Luft. Zwischen den Felsen huschen Gartenschläfer des Nachts umher. Und seit einigen Jahren hat die Europäische Wildkatze sich ihre alte Heimat wieder erobert. Auch Luchse vermutet man in diesen Bergwäldern und der Wolf hat sich ebenfalls wieder blicken lassen. 

Das Grüne Band und die Artenvielfalt

Darin liegt wohl der am schwersten zu erkennende und gleichsam größte Wert der Region für die Natur: Fichtelgebirge und Kaiserwald sind die Drehscheibe der Artenvielfalt in Mitteleuropa. Wer sich ausbreiten will, ob Tier oder Pflanze, muss hier durch, am Kreuzungspunkt der Mittelgebirgszüge Europas. Und auch von Nord nach Süd verbindet eine europaweit bedeutsame Lebensachse die Landschaften Fichtelgebirge und Kaiserwald. Wo ehemals die Grenzanlagen verliefen, verbindet das „Grüne Band Europas“ mittlerweile zum Großteil unter Schutz gestellt die Naturräume vom Schwarzen Meer bis zum Polarmeer auf rund 12.000 Kilometern Länge. Der größte Biotopverbund der Erde geht hier mitten durch. Es könnte ein wichtiger Korridor für Tier- und Pflanzenarten werden, um dem Klimawandel auszuweichen. Dem Menschen nutzt die Vielfalt an Lebensräumen und Arten natürlich auch – früher wie heute. Auf den behutsam genutzten Wiesen wachsen Heilkräuter und Nutzpflanzen in Hülle und Fülle. Arnika, Bärwurz, Johanniskraut, Meisterwurz, Baldrian, Blutwurz, Schafgarbe, Wiesenknöterich – die Liste wäre schier endlos fortzusetzen. Ihre heiltuenden Wirkungen waren im Glauben an die Allmacht der chemisch produzierten Pharmazie fast in Vergessenheit geraten. Heute entdecken wir Menschen diesen Schatz wieder (siehe hierzu Beitrag über Kräuterspezialitäten auf Seite 48). 

Für Schmetterlinge und andere Insekten finden sich in der Grenzregion unterschiedliche Pflanzen und Blüten als Nahrung. Besonders bemühen sich Naturschützer in Bayern und Tschechien derzeit gemeinsam um den Schutz des Goldenen Scheckenfalters, dessen Raupen am liebsten den zart violett blühenden Teufelsabbiss oder die Skabiose fressen. Wo es viele Insekten gibt, ist auch der Tisch für Vögel und Fledermäuse gut gedeckt. Wiesenbrüter wie das Braunkehlchen brauchen Wiesen, die lange stehen bleiben, um dem Nest mit den Jungen genug Schutz zu bieten und Raum, wo die Nahrung nicht weit entfernt zu fangen ist. Folgt man der Eger in Richtung Tschechien, lassen sich mit etwas Glück viele weitere Schätze entdecken: Schwarz- und Weißstörche suchen in den Feuchtwiesen der Auen nach Fröschen und Insekten, Eisvögel zischen übers Wasser und Wasseramseln trocknen nach ihren fußläufigen Tauchgängen auf Felsen sitzend ihr Gefieder. Am Himmel ziehen Wanderfalken, Fisch- und Seeadler majestätisch ihre Kreise. Sogar Kraniche brüten in einigen unerschlossenen und unzugänglichen Gebieten wieder. Von der kleinsten bis zur größten Eule der Welt, sprich vom Sperlingskauz bis zum Uhu, jagen fast alle Eulenarten des Kontinents zur Nachtzeit durch die Wälder, über Wiesen und Felder. In den Wäldern hat der Rothirsch seine Heimat. Und ab und an verirrt sich sogar ein Elch auf Wanderschaft in die Region. 

Steinreiche Gegenden

Wer nicht wandern kann, für den ist es entscheidend, was sich unter den fest verwurzelten Füßen bietet, um zu überleben. Der Stein, aus dem sich der Boden bildet, ist ein entscheidender Faktor für Pflanzen, die darauf wachsen wollen. Ein sehr seltenes und faszinierendes Gestein ist der Serpentinit. Alexander von Humboldt, der als junger preußischer Bergamtsrat im Fichtelgebirge seinem Naturforscherdrang folgte, war von diesem magnetischen Gestein begeistert. Eines der größten Vorkommen des Kontinents findet sich im Kaiserwald, ein wenig davon auch am Nordrand des Fichtelgebirges zwischen Zell und Rehau. Einige Arten, wie der Serpentinit-Streifenfarn, können ausschließlich auf dieser Gesteinsart leben. Das Mierenblättrige Hornkraut kommt weltweit sogar nur auf den Serpentinitfelsen des Kaiserwaldes vor. Am besten lässt sich diese einzigartige Landschaft bei einem Besuch der Drei Kreuze (Tři křížky) in der Nähe der Gemeinde Prameny erleben. Hier wird offenkundig, wie sehr Natur und Kultur miteinander verbunden sind.

Auch Zeitgeist und Politik beeinflussen das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur. Dies lässt sich in einmaliger Weise im Felsenlabyrinth der Luisenburg bei Wunsiedel nachempfinden. Ende des 18. Jahrhunderts gestalteten hier erstmals in Europa Bürger, nicht Fürsten, inmitten von Granitfelsen einen Landschaftsgarten, erschlossen mit Wegen und Treppen, der die Natur zum Sehnsuchtsort stilisiert. Ein Kunstwerk, wie es so wohl nirgends anders entstehen konnte: an der Schnittstelle zwischen Herrschaften, in der Mitte eines zu allen Zeiten lebendigen und sich wandelnden Europas, wo Grenzen immer aufeinander stießen. 

Als Künstler oder wenigstens als Gestalter fanden und finden sich die Menschen zwischen Schneeberg und Kaiserwald wieder in einer unglaublich reichen Natur, die man nicht auf den ersten Blick in ihrem ganzen Wert, ihrer Fülle und ihrer Bedeutung wahrnimmt. Sie behält ihre Schätze und Schönheiten gerne im Verborgenen. Dennoch ist sie es wert, dass man sich gemeinsam um ihren Erhalt bemüht, weil sie das Leben hier besonders lebenswert macht. 

Ronald Ledermüller, mit Unterstützung von Petr Rojík

Wandertipps

Seit 1888 pflegt und erhält der Fichtelgebirgsverein ein über 3000 Kilometer umfassendes Wanderwegenetz im Naturpark Fichtelgebirge. Um die landschaftliche Schönheit des Fichtelgebirges zu erleben, bietet sich zum Beispiel der „Fränkische Gebirgsweg“ an. Empfehlenswerte Wanderrouten finden sich auf der Internetseite der Tourismuszentrale Fichtelgebirge (hier auch in Tschechisch). Zu Wanderungen im böhmischen Kaiserwald (Slavkovský les) gibt es viele gute Webseiten mit Routenvorschlägen, darunter auch eine der (bislang) wenigen zweisprachigen Webseiten: tschechische-gebirge.deund ceskehory.cz