Cartoon: Marc Buchner

Oberfranken – Heimat für Genießer

Gilt die böhmische Küche im allgemeinen Verständnis als Inbegriff der gutbürgerlich-feinen Kochkunst, hat es die Spezialitätenvielfalt der westlich an das alte Böhmen grenzenden Regionen Oberfrankens erst relativ spät zu einem Spitzenplatz im kulinarischen Bewusstsein gebracht. Seit einigen Jahren verweist die von der Handwerkskammer für Oberfranken unterstützte Initiative „Genussregion Oberfranken“ – ein Zusammenschluss engagierter Genusshandwerker und Gastronomen – in zahlreichen Marketingaktionen auf die ungewöhnliche Vielzahl der ansässigen Spezialitätenerzeuger. Oberfranken hat demnach, gemessen an der Bevölkerungszahl, die meisten Bäcker, Metzger und Brauer weltweit! Dennoch gleicht eine Einführung in die kulinarischen Geheimnisse des nordöstlichen Oberfrankens noch immer einer Entdeckungsreise mit vielen Überraschungen. 

Die gastronomische Szene ist mit einem typischen regionalen Speiseangebot wie Bratengerichten, Fisch, Wild, Klößen und manchen Besonderheiten wie Wildkräuterspezialitäten, Kronfleisch und  Stockfisch ungewöhnlich reichhaltig. Das Gleiche gilt für handwerklich arbeitende Bäcker, Konditoren, Metzger, Spirituosenerzeuger und andere Genussbetriebe, die sich inzwischen zwar überall gegen das austauschbare Warenangebot der Ketten und Großbetriebe wehren müssen, aber dennoch täglich ein exklusives Spezialitätenangebot bereithalten.

In der kulinarischen Kulturgeschichte des nordöstlichen Oberfrankens mischen sich Einflüsse vieler Regionen, insbesondere Einflüsse aus Böhmen, Sachsen, Schlesien, Österreich, aber auch süd- und nordeuropäischer Länder. Grund hierfür sind jahrhundertealte politische und wirtschaftliche Verflechtungen über weitreichende Handelsbeziehungen und familiäre Verbindungen. So bezieht die Region ihren besonderen, eben auch kulinarisch greifbaren Charakter aus dem Austausch mit ganz Europa, der bis heute spürbar ist. 

Beginnen wir bei der viel gerühmten fränkischen Bratenküche, die traditionell zwar eigentlich zu den Sonn- und Festtagen gehört, heute aber das typische Angebot regionaler Gasthäuser bestimmt. Neben dem klassischen Schweinsbraten oder einem deftigen Krenfleisch (Ochsenbrust in Meerrettichsoße) gilt der herzhafte Sauerbraten als Inbegriff der fränkischen Küche. Doch Obacht: Die fränkische Version hat nichts mit der süß-sauren rheinischen Variante zu tun! Übereinstimmend ist lediglich, dass das ausgewählte Fleischstück in einer Beize mehrere Tage „einsurt“. Damit wird vom Wortstamm her nicht das Einsäuern mit Essig, sondern das Bemühen beschrieben, das Fleisch in einem gut gewürzten Fonds mürbe zu machen und zu veredeln. Als I-Tüpfelchen wird der Bratenfonds mit einem Soßenkuchen gebunden, also einem nur mäßig süßen, mit Zimt, Koriander, Kardamom, Nelken und anderen Gewürzen abgeschmeckten braunen Kuchen, der die Soße schön sämig werden lässt. Diese Art, die Soße zu binden und zu würzen, entspricht vermutlich einer bis ins Mittelalter zurück gehenden Geschmackstradition vor allem der wohlhabenden Küche, die sich auch in anderen fränkischen Rezepturen etwa für die Zubereitung von Wild und insbesondere Karpfen wiederfindet. So hat der „polnische“ oder auch „schlesische“ Karpfen in brauner Soße ebenfalls eine Wurzel in Oberfranken und kommt auch hier gelegentlich in dieser Variante auf den Tisch. Übrigens wurden Soßenkuchen früher von vielen Bäckern hergestellt, heute kommen sie meistens aus LEUPOLDTS Lebkuchenmanufaktur in Weißenstadt.

Der Siegeszug der Klöße 

Bei den Beilagen verdienen zweifellos die Klöße eine besondere Erwähnung. Der heute so beliebte „Grüne Kloß“, bestehend aus einer Mischung aus roh geriebenen und gekochten Kartoffeln, wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Coburger Raum „erfunden“ und trat von dort erst nach 1920/21 seinen Siegeszug durch Franken an, als das Coburger Land bayerisch und dem Regierungsbezirk Oberfranken zugeordnet wurde. Auch Frankenwald und Fichtelgebirge haben ihre eigenen, höchst spannenden Kloß- und Kartoffelgeschichten, denn das um die Mitte des 17. Jahrhunderts rauer werdende Klima in der Region hatte zur Folge, dass hier schon früh Kartoffeln kultiviert wurden. Berühmt ist die Überlieferung um den aus Pilgramsreuth stammenden Bauern Hans Rogler, der bei einem Verwandtenbesuch im Ascher Land (heute Tschechien) erste Kartoffeln kennen lernte, die wiederum ein holländischer Soldat dorthin gebracht haben soll. Rogler und seine Dorfnachbarn bauten ab 1647 Kartoffeln feldmäßig an, weil sie – wie die Überlieferung sagt – gemerkt hätten, dass sie „gut tun“. Dies lässt darauf schließen, dass Kartoffeln ab dieser Zeit nicht zuletzt an Stelle des teurer werdenden Getreides gegessen wurden. 

Auf jeden Fall sind in der Region zahlreiche Kartoffel- und Kloßgerichte überliefert, deren Ursprung in einer häufig für Böhmen typischen Mehlspeisenrezeptur liegt, wie z.B. die Bänkstiezel, Kartoffelkuchen, Braunfuchsen, Ballnglees, Baumwollna Klees, Kartoffelnudeln bis hin zu Lebkuchen aus Kartoffelteig. Sie alle basieren auf der Erkenntnis, dass man den Anteil des hellen Mehls oder auch des feinen Weizengrieß durch gekochte Kartoffeln ersetzen konnte, dennoch aber einen leicht zu verarbeitenden und schmackhaften „Teig“ erhielt, der sich nur wenig von der klassischen Mehlspeise unterschied. 

Aufgrund der Verarbeitungsfähigkeit ist zu vermuten, dass die ersten Kartoffelsorten in der Region von sehr mehliger Konsistenz waren. Erhalten sind sie allesamt nicht, denn zwischen 1846 und 1849 vernichtete eine Kartoffelfäuleepidemie die angebauten Bestände nahezu vollständig. Danach wurden in ganz Europa neue, widerstandsfähige Sorten aus Südamerika eingeführt, um resistentere Arten auf dem Kontinent zu züchten. Allerdings hat sich in der Frankenwald-Gemeinde Carlsgrün eine möglicherweise schon 1819 beschriebene sehr mehlige, runde Kartoffel mit schwarz-blauer Schale und gelbem Fleisch erhalten, die zu den Raritäten aus vergangenen Tagen gehört. Allerdings kann man sie aufgrund ihrer Seltenheit nicht im Handel beziehen. Heutige Fichtelgebirgskartoffeln genießen ebenfalls einen guten Ruf, da sie aufgrund der mineralstoffhaltigen Urgesteinsböden besonders wertvolle Nährstoffe einlagern. Vermarktet werden sie u.a. unter den Namen „Fichtelgebirgs-Erdäpfel“ oder „Fichtelgebirgs-Perle“.

Immer gut für eine Brotzeit

Trotz wachsenden Konkurrenzdrucks durch Supermärkte und Ketten ist die Zahl der regionalen Handwerksbäcker und Konditoren in der Region noch immer hoch. Wer regional Typisches sucht, greift zum fränkischen Landbrot aus hausgemachtem Sauerteig mit hohem Roggenanteil und typischen Brotgewürzen. Der Roggenanbau hat in den nördlichen Landesteilen Oberfrankens aus klimatischen Gründen eine lange Tradition. Das teurere und seltenere Weizenmehl wurde nur gelegentlich für feinere Backwaren zu besonderen Festtagen verwendet, so z.B. für die Küchla, Krapfen oder Sträuberle zur Kirchweih und zu besonderen Familienfesten. Mancherorts kann man noch echte Küchlabäckerinnen mit der Herstellung dieser köstlichen Hefegebäcke beauftragen. Auffallend groß ist die Anzahl hervorragender Konditoreien in der Region, so u.a. in Weißenstadt, Fichtelberg, Röslau, Selb und Marktredwitz, die von der Praline bis zum Weihnachtsstollen und vom Lebkuchen bis zur Hochzeitstorte nahezu alles zaubern, was zu süßen Träumen verführt. 

Bekannt sind das Fichtelgebirge und das nördlich anschließende Hofer Land gerade auch für ihre hervorragenden Wurst- und Schinkenspezialitäten. Schon in alter Zeit gab es in der Region viele gute Landmetzger, die die langsam ausgemästeten Schweine der Bauern nach individuellen Rezepten zu besonderen Spezialitäten verarbeiteten. Vieles davon hat sich bis heute oft in lokal begrenztem Raum erhalten, wie z.B. der Leberpreßsack des Hofer Landes, der sich von den Preßsackvarianten anderer Regionen durch eine grobe Einlage aus Leber unterscheidet. Zu Wurstspezalitäten mit Alleinstellungsmerkmal gehören auch die Kirchenlamitzer Stockwurst und die Hofer Rindfleischwurst. Unbedingt probieren sollte man schließlich die hervorragenden Schinkenspezialitäten ausgewählter Metzgereien, die nach alter Art über sechs Wochen eingelegt und danach behutsam geräuchert werden. 

Der Nordosten Oberfrankens hat in punkto Spezialitätenvielfalt also viel zu bieten. Oder anders formuliert: Die Region isst einzigartig! Wer sich hier abseits der touristischen Mainstream-Routen auf kulinarische Entdeckungsreise begibt, findet garantiert Ungewöhnliches und Genussvolles. Und wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, wird bestimmt wiederkommen.

Uta Hengelhaupt