Die Eisenbahn und die Industrieregion Mit Dampfkraft zum großen Durchbruch
Als im Dezember 2015 der erste Zug über den wiedereröffneten Teilabschnitt Plößberg-Asch der Bahnstrecke Hof-Eger rollte, wurde an einen traditionsreichen Prozess angeknüpft, dessen Anfang im 19. Jahrhundert liegt und der die Geschichte der Region hüben und drüben der Grenze bis heute prägt.
Den Ausschlag für die Geschichte der Eisenbahn im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet gab eine Entscheidung des bayerischen Monarchen Ludwig I., eines allen voran kunstsinnigen Regenten, dessen Familie Napoleon die Königswürde verdankte. Er sah sich in einem tiefen Zwiespalt: Einerseits wollte sein Haus mit einem neuen Geschichtsbild die damit einhergehenden Machtansprüche der Wittelsbacher auf das neugeschaffene Königreich untermauern. Andererseits war sich Ludwig darüber im Klaren, dass Bayern im internationalen Wettbewerb mithalten musste. Das wiederum drohte an der relativen Rohstoffarmut und der im Nordosten noch rückständigen Infrastruktur zu scheitern, die dem benötigten Transportgewicht nicht standgehalten hätte. Abhilfe versprach die in England bereits zu einigem Ruhm gelangte Eisenbahn. Die festen Schienen sorgten für eine bessere Gewichtsverteilung und erlaubten es, auch unwegsames Gelände zu durchqueren.
1835 schnaufte die erste Maschine mit dem stolzen Namen „Adler“ von Nürnberg nach Fürth. Damit war die Tauglichkeit des Dampflokomotiv-Systems auch für deutsche Verhältnisse unter Beweis gestellt. Der Monarch in München war begeistert vom durchschlagenden Erfolg und auch die Allgemeinheit schwelgte fortan im Eisenbahnfieber. Wirtschaftliche Interessen bildeten den Hintergrund: Immerhin versprach man sich durch den Streckenausbau nichts Geringeres als den Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum. Mit Blick auf die nordoberfränkische Region fallen dabei vor allem drei Branchen ins Gewicht: der Berg- und Steinabbau, der durch ausgebeutete Vorkommen bzw. ein geschwundenes lokales Interesse am Rohstoff zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Status eines lokalen Gewerkes zurückgefallen war; die Textilproduktion, die durch die Förderung des preußischen Ministers Karl Freiherr von Hardenberg am Ende des 18. Jahrhunderts erste Mechanisierungen und damit den Ausbau des Manufakturwesens zur Folge hatte; schließlich in Hohenberg die noch junge Porzellanfabrikation des C.M. Hutschenreuther, die ebenfalls in Form einer Manufaktur existierte. Die tonangebenden „Fabrikanten“ mussten stets klar vor Augen haben, dass sie mit dem Ausbau des Absatzmarktes in Konkurrenz zu mächtigen Gegnern – wie Großbritannien – treten würden.
Weitsichtige Verbundwirtschaft
Der Ausbau des Eisenbahnnetzes in einer Art Verbundwirtschaft zwischen Bayern, Sachsen und Böhmen erschien als die beste, wenn nicht die einzige Möglichkeit zur Sicherung der ökonomischen Stellung. Schon ein Jahr nach der ersten Fahrt des „Adlers“ begannen privatwirtschaftliche Initiativen mit Planungen einer Strecke von Nürnberg nach Bamberg. Das schürte auch in Hof gewisse Begehrlichkeiten. Immerhin wusste das dort eingesetzte „Eisenbahn-Comitee“ von Überlegungen, die Strecke Dresden-Leipzig im benachbarten Königreich Sachsen nach Plauen fortzuführen, sodass ein Lückenschluss beider Netze in der Saalestadt machbar erschien. Die Beweggründe der Hofer Fabrikanten waren durchweg logisch: Man erhoffte sich eine bessere Erschließung der nordöstlichen Absatzmärkte und einen Anschluss an die Steinkohle aus dem Zwickauer Revier, den zunächst unentbehrlichen Rohstoff für den Betrieb von Dampfmaschinen. Auf diese Weise hätte man endlich die Mechanisierung der eigenen Betriebe und damit den Aufschluss zu den größeren Produzenten jenseits des Ärmelkanals in Angriff nehmen können.
Ludwig I. ließ sich von diesen Überlegungen überzeugen, schuf durch eine staatlich getragene Kommission Fakten und beauftragte den Bau der „Ludwig-Süd-Nord-Bahn“ von Lindau bis Hof. Die ersten Abschnitte wurden 1848 fertiggestellt. Hierfür waren Kunstbauten wie die Schiefe Ebene bei Neuenmarkt-Wirsberg erforderlich, von denen zuerst das lokale Granitgewerbe profitierte, das mit der Ausführung der fortschrittlichen Planungen betraut wurde. Im nördlichen Endbahnhof an der Saale rollten schließlich am 1. November des Jahres 1848 die ersten bayerischen Züge ein, die sächsischen Pendants folgten am 20. November. War man zu Beginn dazu gezwungen mehrmals umzusteigen, stand dem bequemen, grenzübergreifenden Reisen durch den endgültigen Lückenschluss 1851 nichts mehr im Weg.
Die Linie Hof-Eger als Lebensader
Der wirtschaftliche Aufschwung ließ nicht lange auf sich warten: Durch den Zugang zu den Kohlerevieren wuchs die Industrie im nördlichen Oberfranken sprunghaft an. Bereits 1849 kam die erste Dampfmaschine in einem Hofer Textilbetrieb zum Einsatz. Dies markiert den Beginn der Hochmechanisierung. Die Einwohnerzahlen explodierten, komplett neue Stadtviertel, wie sie bis heute mit der „Fabrikzeile“ existieren, entstanden.
So beeindruckend die Entwicklung in Hof jedoch scheinen mag, so argwöhnisch blickten die Anrainer auf sie herab: Denn wenngleich die Saalestadt durch den Bahnbau innerhalb kürzester Zeit zum „bayerischen Manchester“ aufstieg, blieb die Peripherie von der Entwicklung weitgehend ausgeschlossen. Hier fürchteten Unternehmer, von Wettbewerbern verdrängt zu werden. Der Bau von Stichbahnen, die entlegeneren Gebieten den Zugang zur Hauptstrecke ermöglichen sollten, wurde daher zur treibenden Kraft in der Mitte des 19. Jahrhunderts: In den nächsten knapp 50 Jahren wurde das Fichtelgebirge systematisch durch insgesamt elf Linien erschlossen, mit deren Hilfe nach der Textilbranche auch andere Wirtschaftszweige mechanisiert werden konnten. Hemmender Faktor blieb jedoch der relativ hohe Preis der wertvollen Steinkohle, die Sachsen im Monopol an die benachbarten Staaten verkaufte. Schon 1843 hatte man in Hof geplant, eine Bahnlinie nach Eger zu führen, um von dort aus kostengünstigere Braunkohle zu importieren, doch sollte es bis 1865 dauern, ehe die ersten Züge rollten. Eben diese Trasse markiert damit den Wendepunkt in der Wirtschaftsgeschichte des nordoberfränkischen Raums. Die Bahnlinie Hof-Eger wurde zur Lebensader der Industrie in einer ökonomischen Landschaft, die durch die Eisenbahn wie wenige andere Regionen in Bayern geprägt wurde. Heute trägt sie als Teil des Verkehrsverbundes EgroNet wesentlich zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei.
Adrian Roßner
Spannende Zeitreise: Das Deutsche Dampflokomotivmuseum
Der Bau der „Ludwig-Süd-Nord-Bahn“ von Lindau nach Hof erforderte ingenieurstechnische Meisterleistungen. Eine davon ist die bereits 1848 fertig gestellte „Schiefe Ebene“ zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und Marktschorgast. Die Steigung erforderte den Einsatz starker Schublokomotiven. Für deren Unterhalt baute man 1923 ein Bahnbetriebswerk in Neuenmarkt-Wirsberg. In dem Ringlokschuppen und den angeschlossenen Nebengebäuden befindet sich seit 1977 – dem Jahr, als die letzten Dampfloks aufs Abstellgleis kamen – das Deutsche Dampflokomotivmuseum. Es ermöglicht eine spannende Reise durch die Geschichte der Eisenbahn anhand beeindruckender Originalexponate.